Die Haftung von Ärzten bei aussichtslosem Leid

Die Frage, welche lebenserhaltenden Maßnahmen noch sinnvoll sind und welche das Leid lediglich verlängern, ist eine kontroverse Thematik.

 

Dieses Problem taucht immer wieder in der Ärzteschaft als auch in der Rechtsprechung auf und wirft ethische Fragen auf.

 

Zuletzt wurde diese Thematik in einem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 02.04.2019 aktuell. 

 

Tragischer Fall

Der Kläger begehrte für seinen verstorbenen Vater Schmerzensgeld sowie Ersatz von Behandlungskosten.

 

Die Umstände des Falls sind als tragisch zu bezeichnen. Der im Jahr 1929 geborene Vater litt an fortgeschrittener Demenz. Er war sowohl bewegungs- als auch kommunikationsunfähig. In den letzten beiden Jahren seines Lebens litt er zudem an Entzündungen der Lunge und Gallenblase. Im Jahr 2011 verstarb der Patient. Er wurde zuvor ab dem Jahr 2006 mittels einer PEG-Magensonde künstlich ernährt. Der Patient hatte keine Patientenverfügung. Auch aus anderen Umständen ließ sich nicht feststellen, dass er den Einsatz lebenserhaltender Maßnahmen ablehnen würde.

 

Unterschiedliche Beurteilung in den Instanzen

Während die erste Instanz die Klage abgewiesen hat, gab das Oberlandesgericht München dem Kläger Recht. Es wurde ein Schmerzensgeld in Höhe von 40.000 € zugesprochen.

 

Dieses Urteil hat der Bundesgerichtshof nun kassiert. Das erstinstanzliche Urteil wurde wiederhergestellt und die Klage abgewiesen.

 

Bundesgerichtshof sieht keinen Schaden

Dabei beschäftigt sich der Bundesgerichtshof gar nicht mit der Frage, ob der behandelnde Arzt gegen seine Pflichten als Behandler verstoßen hat. Der Bundesgerichtshof lässt die Klage daran scheitern, dass er einen Schaden ablehnt.

 

Aus seiner Sicht verbietet der im Grundgesetz verankerte Schutz des Lebens das Weiterleben als Schaden anzuerkennen. Dabei soll es nach dem Bundesgerichtshof keine Rolle spielen, ob das Weiterleben schmerzhaft oder sinnlos ist oder sogar gegen den Willen des Patienten erfolgt.

 

Auch der Ersatz von Behandlungskosten wird vom Gericht abgelehnt. Dabei argumentiert das Gericht mit dem Schutzzweck der ärztlichen Behandlungspflichten. 

 

Konsequenzen des Urteils

Das Urteil stellt den Lebensschutz über alles. Durch diese Eindeutigkeit sorgt das Urteil scheinbar für Rechtssicherheit. Allerdings sind mit dieser Absolutheit erhebliche Nachteile verbunden.

 

Ganz praktisch gesehen dürfte das Urteil dafür sorgen, dass stets lebenserhaltende Maßnahmen bis zur technischen Machbarkeitsgrenze durchgeführt werden. Eine solche Entwicklung ist schon heute in der Medizin zu beobachten und dürfte sich in Zukunft verstärken. Das Gericht leistet damit einer Gerätemedizin Vorschub, die nur noch das Erhalten der Lebensfunktionen zum Ziel hat. Eine Abwägung mit anderen ebenso wichtigen Belangen des Patienten findet nicht statt.

 

Aus der Pressemitteilung des BGH lässt sich auch entnehmen, dass selbst dann kein Schadensersatz geschuldet ist, wenn der Arzt gegen den Willen des Patienten gehandelt hat.

 

Auch dogmatisch überzeugt das Urteil nicht. Die staatliche Ordnung in Deutschland inklusive des Grundgesetzes sieht zwar den Schutz des Lebens und der Gesundheit vor. Hier wurde jedoch nicht verlangt, dass das sich ein staatliches Gericht von diesen Grundsätzen löst und das Weiterleben in lebenswert/nicht lebenswert einteilt. Eine stärkere Würdigung des Einzelfalls mit einer Abwägung der Patientenbelange wäre hier wünschenswert gewesen.

 

Auch passt das Urteil nicht zur übrigen Rechtsprechung des BGH (Stichwort „Kind als Schaden“). Dort wurden Schadensersatzansprüche durchaus anerkannt.

 

Konsequenzen für den Einzelnen

Das Urteil führt wieder einmal vor Augen, wie wichtig es ist, sich frühzeitig Gedanken zu machen, wie man selbst in solchen Situationen entscheiden würde. Der Patient war hier leider nicht mehr in der Lage, seinen eigenen Willen zu äußern.

 

Für diese Situationen ist die Patientenverfügung vorgesehen. Diese stellt Regelungen für verschiedene medizinische Situationen auf und enthält Anweisungen, wie vom medizinischen Personal zu verfahren ist.

 

Zweifelsfälle können dann immer noch vom Vorsorgebevollmächtigten/Betreuer entschieden werden.

 

Damit kommen wir zur zweiten wichtigen Erkenntnis des Urteils. Für den Patienten wurde ein Betreuer, ein Rechtsanwalt, bestellt. Dieser musste daher anstelle des Patienten entscheiden.

 

Die Abfassung einer Vorsorgevollmacht ist neben einer Patientenverfügung generell zu empfehlen. Die Vorsorgevollmacht sorgt dafür, dass die Betreuung von einer Vertrauensperson ausgeübt werden kann und nicht das Betreuungsgericht diese Person auswählen muss.