Lebensversicherung: Policenmodell europarechtswidrig

 

Das sogenannte Policenmodell ist weiter in der Diskussion. Die Entwicklung der Rechtsprechung hierzu ist bei weitem nicht abgeschlossen.

 

Dies liegt daran, dass es eine Art Kompetenzgerangel zwischen deutscher und europäischer Gerichtsbarkeit gibt.

 

Entscheidend ist hier Frage, ob die damalige deutsche Regelung in § 5a VVG a.F. den europarechtlichen Vorgaben genügt hat.

 

Nicht abschließendes Urteil des EuGH

Der EuGH hat mit Urteil vom 19.12.2013 (Az. C-209/12) festgestellt, dass die Fristenregelung in § 5a Abs. 2 S. 4 VVG a.F. nicht mit Europarecht vereinbar ist.


Der deutsche Gesetzgeber hatte mit dieser Regelung einfach eine Befristung des Widerspruchsrechts auf ein Jahr nach Zahlung der ersten Versicherungsprämie eingeführt.


Diese Fristenregelung war in den entsprechenden europäischen Richtlinien (90/619/EWG und 79/267/EWG - Zweite und Dritte Richtlinie Lebensversicherung) nicht vorgesehen.


Das Urteil hat sich jedoch nur mit der betreffenden Fristenregelung in § 5 Abs. 2 S. 4 VVG a.F. beschäftigt und nicht mit dem Policenmodell an sich.


Sogenanntes deutsches Policenmodell

Das Policenmodell nach deutschem Recht sah vor, dass Abschluss des Versicherungsvertrages und Zusendung der Police auseinander fallen können. Dies konnte dazu führen, dass sich der Versicherungsnehmer über Inhalt und Umfang des abgeschlossenen Versicherungsvertrages bei Abschluss des Vertrages nicht im Klaren war.


Die eigentliche Versicherungspolice, das wichtigste Vertragsdokument eines Versicherungsvertrages, konnte ihm erst nachträglich, das heißt also nach Abschluss des Versicherungsvertrages, zugesendet werden. Für diesen Fall sah das Gesetz die Mitteilung einer sogenannten Widerspruchsbelehrung vor. Dies gab dem Versicherungsnehmer die Möglichkeit sich nach Zugang der Versicherungspolice innerhalb von 14 Tagen (bei Lebensversicherungen innerhalb von 30 Tagen) wieder vom Vertrag zu lösen


Policenmodell könnte gegen Europarecht verstoßen

Ob das gesamte Policenmodell europarechtswidrig ist, ist leider noch nicht abschließend geklärt worden. Dies liegt auch daran, dass deutsche Gerichte ungern den EuGH anrufen.


So musste ein Versicherungsnehmer, der letztinstanzlich vor dem Landgericht Bonn (Urteil vom 07. Juli 2011, Az. 8 S 38/11) gescheitert ist, sogar Verfassungsbeschwerde einreichen, da sich das Landgericht geweigert hat, den Rechtsstreit dem EuGH vorzulegen.


Die Vorlagepflicht entsteht immer dann, wenn sich in einem laufenden Verfahren die Frage stellt, ob eine nationale Regelung gegen Europarecht verstößt und diese Frage noch nicht durch den EuGH beantwortet wurde.


Die Vorlagepflicht wurde im vorliegenden Fall vom Bundesverfassungsgericht (Beschluss vom 03. März 2014, Az. 1 BvR 2083/11) bejaht. Das Bundesverfassungsgericht führt aus, aaO, Rn. 36:


„Die Frage der Richtlinienkonformität des durch § 5a Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. eröffneten „Policenmodells“ war nach der – vom Bundesverfassungsgericht zugrunde zu legenden – Auffassung des Berufungsgerichts entscheidungserheblich. Sie war und ist durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union bisher nicht beantwortet.“


Policenmodell wird auf dem Prüfstand kommen

Es ist also absehbar, dass in naher Zukunft die Frage geklärt wird, ob das Policenmodell mit europäischem Recht vereinbar ist oder nicht.


Wenn der EuGH zu dem Schluss kommt, dass das Policenmodell europarechtswidrig ist, so droht den Versicherern eine weitere Rückabwicklungswelle.


Die deutsche Rechtsprechung scheint sich weiterhin gegen diese Erkenntnis zu wehren. Ob hierfür die Stimmungsmache der Versicherungswirtschaft verantwortlich ist, sei dahingestellt. Jedenfalls scheint der BGH mit seiner Entscheidung vom 16.07.2014, Az. IV ZR 73/13, dem Bundesverfassungsgericht zu widersprechen, indem er das Policenmodell als europarechtskonform einstuft.


Eine abschließende Beurteilung kann jedoch nicht durch den BGH, sondern nach hiesiger Auffassung nur durch den EuGH erfolgen.


Nach dessen kritischer Auseinandersetzung mit der deutschen Fristenregelung erscheint es absolut möglich, dass dieser das gesamte Policenmodell zu Fall bringt.